Der Fall Palmer und die Geburtstagsgrüße – eine datenschutzrechtliche Betrachtung

Datenschutz und städtische Geburtstagsgrüße aus Tübingen

Der Streit um einen scheinbar harmlosen Geburtstagsgruß der Stadt Tübingen hat
bundesweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Was zunächst wie eine bürokratische
Anekdote wirkt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als ein exemplarischer
Konflikt zwischen Datenschutzrecht und kommunaler Verwaltungspraxis.
Im Zentrum
steht die Frage, ob und in welchem Umfang Behörden persönliche Daten von
Bürgerinnen und Bürgern veröffentlichen dürfen. Der Fall bietet eine gute Gelegenheit,
die rechtlichen Grundlagen zu beleuchten und die Argumente der Beteiligten
einzuordnen.

Palmer gegen Landesdatenschutzbehörde aus Baden-Württemberg

‍Die Stadt Tübingen veröffentlichte im Amtsblatt einen Glückwunsch an einen 75-
jährigen Bürger. Eine jahrzehntelang übliche Praxis, die in vielen Gemeinden als Form
der Wertschätzung verstanden wird. Der Betroffene jedoch war mit der
Veröffentlichung nicht einverstanden und wandte sich an die zuständige
Datenschutzbehörde. Diese leitete daraufhin ein Verfahren gegen die Stadt ein.
Oberbürgermeister Boris Palmer reagierte öffentlich mit scharfer Kritik und sprach von
überzogener Bürokratie.

‍Auslöser des Konflikts ist damit nicht der Gruß selbst, sondern die Frage, ob die
Veröffentlichung ohne vorherige ausdrückliche Zustimmung datenschutzrechtlich
zulässig ist.

Rechtlicher Rahmen

Rechtlich maßgeblich ist insbesondere das Bundesmeldegesetz (BMG) sowie die
Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Seit der Reform des BMG im Jahr 2015
dürfen Kommunen personenbezogene Daten aus Melderegistern nur dann
veröffentlichen, wenn hierfür eine gesetzliche Grundlage existiert oder der Betroffene
ausdrücklich eingewilligt hat. Eine frühere Regelung, die Gemeinden standardisierte
Bekanntgaben von Altersjubiläen erlaubte, wurde aufgehoben.

Damit gilt heute: Die Veröffentlichung von Name und Geburtsdatum eines Bürgers –
selbst zu einem positiven Anlass – stellt eine Verarbeitung personenbezogener Daten
dar, für die die Kommune eine Rechtsgrundlage benötigt. Fehlt diese liegt ein Verstoß
gegen Grundsätze der Datenminimierung und Zweckbindung Art. 5 DSGVO vor.


Der Umstand, dass viele Amtsblätter mittlerweile auch online abrufbar und über
Suchmaschinen auffindbar sind, verschärft die datenschutzrechtliche Bewertung
zusätzlich. Dort veröffentlichte persönliche Daten sind prinzipiell weltweit einsehbar
und dauerhaft auffindbar.

Verbietet der Datenschutz die Wertschätzung gegenüber den Bürger?

Während die baden-württembergische Datenschutzbehörde die Einhaltung der
gesetzlichen Vorgaben betont, argumentiert die Stadt Tübingen, dass es sich um eine
harmlose Tradition handle, die gesellschaftlichen Zusammenhalt fördere und
niemandem schade. Die Behördenvertreter weisen hingegen darauf hin, dass selbst
gut gemeinte Veröffentlichungen missbräuchlich verwendet werden können – etwa bei
bestimmten Betrugsmaschen, für die Alter und Name potenzieller Opfer relevant sind.
Bürgermeister Palmer kritisiert darüber hinaus den zusätzlichen Verwaltungsaufwand,
der entsteht, wenn für jeden Jubiläumsgruß eine Einwilligung eingeholt werden muss.

Aus seiner Sicht stehe der bürokratische Aufwand in keinem Verhältnis zum Nutzen.
Die Gegenseite hält dagegen: Datenschutz sei kein Komfortrecht, sondern ein
Grundrecht, das auch für kleine Anlässe gelte.

Rechtliche Bewertung

Rechtlich betrachtet gibt es wenig Spielraum. Die Veröffentlichung von persönlichen
Daten im Amtsblatt stellt einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung dar.
Ein solcher Eingriff ist nur zulässig, wenn der Betroffene zuvor eindeutig und informiert
zugestimmt hat. Auch der positive Charakter der Veröffentlichung ändert nichts daran,
dass es sich um personenbezogene Daten handelt, die ohne Einwilligung nicht
veröffentlicht werden dürfen.

Man könnte eine Rechtsgrundlage im berechtigten Interesse sehen. Dafür müsste aber
die Stadt eine Interessenabwägung vornehmen und erklären, warum der
Geburtstagsglückwunsch bzw. das Abrufen der personenbezogenen Daten im
Melderegister dem Interesse der Nichtverarbeitung überwiegt. Die DSGVO ist aber
restriktiv und im Zweifel gibt sie dem Vorrang der Nichtverarbeitung. Mit mehr
Begründungsaufwand könnte es die Stadt vielleicht vor dem Verwaltungsgericht
probieren und gegen einen zu erwartenden Verwaltungsakt vorgehen

Die Kritik der Stadt ist derzeit noch politischer Natur: Sie richtet sich weniger gegen die
Rechtslage als gegen deren praktische Auswirkungen.

Die Frage lautet letztlich: Wie viel Datenschutz ist notwendig – und wie viel Bürokratie ist zumutbar? Wenn es die Stadt ernst meint, dann sollte sie eine gerichtliche Klärung versuchen.

Ausblick

‍Wie das Verfahren gegen die Stadt Tübingen ausgeht, dürfte überregionale Bedeutung
haben. Viele Kommunen haben ihre Praxis bereits umgestellt und verzichten ganz auf
öffentliche Gratulationen oder holen konsequent Einwilligungen ein. Sollte das
Verfahren bestätigen, dass die aktuelle Rechtslage strikt auszulegen ist, könnte das zu
einem endgültigen Ende traditioneller öffentlicher Geburtstagslisten führen.

Zugleich wirft der Fall die größere Frage auf, wie eine moderne Verwaltung zwischen
rechtlicher Sicherheit und bürgernaher Tradition vermitteln kann. Der Konflikt um den
Tübinger Geburtstagsgruß zeigt: Datenschutz bleibt auch dort relevant, wo man es im
Alltag zunächst nicht vermutet.

Foto Rechtsanwalt Tsanko Kalchev
Tsanko Kalchev
Rechtsanwalt | Datenschutz-beauftragter (TÜV-Süd) | CIPM
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